Einführungen in die Themenschwerpunkte der Datenbank

"Nationalsozialismus" von Udo Wengst
"Holocaust der Völkermord an den Juden Europas" von Wolfgang Benz
"Widerstand im Nationalsozialismus" von Wolfgang Benz
"Emigration und Exil" von Brita Eckert



Wolfgang Benz

Widerstand im Nationalsozialismus

Die Bezeichnung Widerstand faßt als Oberbegriff Einstellungen, Haltungen und Handlungen zusammen, die gegen den Nationalsozialismus als Ideologie und praktizierte Herrschaft gerichtet waren. Im weitesten Sinn sind darunter die ins Exil geflohenen Antifaschisten ebenso zu verstehen, die wenig oder keine Möglichkeit hatten, etwas ähnlich Entscheidendes gegen die Regierung Hitlers zu unternehmen wie die Männer, die das Attentat des 20. Juli 1944 unternahmen. Zum Widerstand rechnet man damit auch diejenigen, die sich weder durch Lockung noch durch Zwang vom Nationalsozialismus vereinnahmen ließen; die ihre geistige Unabhängigkeit, ihre demokratische oder rechtsstaatliche überzeugung, die Werte und Normen ihres Milieus — etwa im Rahmen der Arbeiterbewegung oder innerhalb kirchlicher und sonstiger religiöser und weltanschaulicher Bindungen - bewahrten.

    Im engeren Sinne ist aber zwischen den kritischen bis abweisenden Haltungen der Verweigerung und Selbstbehauptung einerseits und den bewußten Anstrengungen zur änderung der Verhältnisse andererseits zu unterscheiden. Opposition gegen das Unrechtsregime war noch nicht gleichbedeutend mit persönlichem Einsatz und den damit verbundenen Gefährdungen. Diesen setzte sich aber jeder aus, der mit Flugblättern, Wandparolen, als Kurier zu Regimegegnern im Ausland aktiv war oder einem Verschwörerkreis angehörte, in dem der Sturz der Diktatur und eine neue Staats- und Gesellschaftsordnung geplant wurden.

    Definition von Widerstand ruft Probleme auf, die auch die Erinnerungskultur bestimmen. In der Bundesrepublik herrschte lange Zeit die Vorstellung, es sei ein „Widerstand ohne Volk“ gewesen, den nur wenige Angehörige traditioneller Eliten geleistet hätten, während „das Volk" in Begeisterung zum Regime verharrte. In der DDR wurden hingegen die Aktionen der Kommunisten als alleingültiger Antifaschismus glorifiziert. Um die Verweigerung, die sich z. B. in der Vermeidung des „Heil-Hitler-Grußes" oder durch das Hören ausländischer Rundfunksender ausdrückte, um schließlich alle Haltungen von Opposition in den Widerstand einzubeziehen, wurde der Begriff „Resistenz" eingeführt. Ihm waren folgende Merkmale zugeordnet: „Wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindämmung der NS-Herrschaft oder ihres Anspruchs, gleichgültig von welchen Motiven, Gründen und Kräften her“ (Martin Broszat). Diese Begriffsbestimmung aus den frühen 1980er Jahren hat sich nicht durchgesetzt. Der schwerstwiegende Einwand dagegen lautet, daß fast jedes nicht regime-konforme Alltagsverhalten, ohne Rücksicht auf die Motive, unter diesen „erweiterten Widerstandsbegriff" falle, daß somit jeder, der dem NS-Regime nicht ständig Beifall spendete, schon Widerstand geleistet habe (Andreas Hillgruber).

    Um der damaligen Wirklichkeit zu entsprechen und um den verschiedenen Formen von Opposition gerecht zu werden, ist Widerstand im eigentlichen Sinn deshalb nicht nur als Haltung zu definieren, sondern als Handeln, das auf grundsätzlicher Ablehnung des Nationalsozialismus beruhte und aus ethischen, politischen, religiösen, sozialen oder individuellen Motiven darauf abzielte, zum Ende des Regimes beizutragen. Voraussetzung und Anlaß war eine Haltung von Dissens zum NS-Regime (Ian Kershaw) oder von „weltanschaulicher Dissidenz" (Richard Löwenthal). Widerstand wurde daraus, wenn diese Haltung sich zur Absicht verdichtete, eine änderung der Verhältnisse herbeizuführen. Widerstand im eigentlichen Sinne war dann jeder „bewußte Versuch, dem NS-Regime entgegenzutreten" (Christoph Kleßmann) und die damit verbundenen Gefahren auf sich zu nehmen.

    Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus gehört zu den am besten erforschten Aspekten der jüngeren deutschen Geschichte. Im Vordergrund stand lange die für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft identitätsstiftende späte Opposition konservativer Eliten, militärischer und diplomatischer Kreise, der Männer des 20. Juli 1944, des Kreisauer Kreises, der Goerdeler-Gruppe, aber auch der Münchner Studentengruppe „Die weiße Rose“. Der frühe Widerstand von Kommunisten, linken Sozialisten und Sozialdemokraten, die Opposition von Intellektuellen, Künstlern und moralisch Engagierten, das Attentat des Einzelgängers Georg Elser am 9. November 1939 fanden erst später Aufmerksamkeit.

    Zu den gesellschaftlichen Gruppen, die für sich Widerstand als Haltung und Tat in Anspruch nahmen, gehören die Kirchen, obgleich immer nur Einzelne aus christlichem Motiv Widerstand leisteten (etwa die Priester und Theologen Julius von Jan, Paul Schneider, Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller auf evangelischer oder Max Josef Metzger, Augustin Rösch S.J., Bernhard Lichtenberg oder Pater Rupert Mayer auf katholischer Seite). Konsequent verweigerten sich nur die „Ernsten Bibelforscher“ (Zeugen Jehovas) als religiöse Gruppe dem Nationalsozialismus.

    Die Aktivitäten der kommunistischen Gruppierungen nach der taktischen Kursänderung der Komintern und insbesondere im Zweiten Weltkrieg standen in der DDR im Mittelpunkt der Erinnerungskultur, verbunden mit Namen wie Georg Schumann (Leipzig), Bernhard Bästlein (Hamburg), Robert Uhrig und Beppo Römer (Hamburg, Mannheim, Leipzig, München), Anton Saefkow und Franz Jacob (Berlin). Jugendopposition war mit der Herbert-Baum-Gruppe konnotiert, die dann auch für den jüdischen Widerstand, der in Deutschland nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten hatte, reklamiert wurde.

    Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft leisteten Deutsche aus politischer oder religiöser überzeugung, aus Einsicht in die Verderben bringende Natur des Regimes, aus Entsetzen und Scham über die Verbrechen, die von Staats wegen begangen wurden, aus Anstand und Mitleid mit den Opfern und aus anderen Motiven. Wenn die Mehrheit aus der Haltung begeisterter Zustimmung allmählich in einen Zustand von Resignation verfiel, aber trotzdem dem Regime in unreflektierter Ergebenheit treu blieb, so hat sich doch eine nicht unbeträchtliche Minderheit dem Regime dauerhaft verweigert. Andere haben aus der Opposition zum bewußten Widerstand gefunden, zu einem Widerstand mit dem politischen Ziel der Beseitigung der nationalsozialistischen Diktatur. Ereignisgeschichtlich betrachtet blieb dieser Widerstand erfolglos, die NS-Herrschaft brach erst mit der militärischen Niederlage zusammen. Für den Neubeginn nach dem Zusammenbruch gehörte der Widerstand als Beispiel politischer Moral, unter welcher ideologischen Prämisse oder sozialen Voraussetzung er auch geleistet wurde, zu den wichtigen sinnstiftenden Erinnerungen der deutschen Geschichte.

    Berlin, April 2006

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